Nicht-Orte

Horizontale Linien lassen für das Auge, wie der Wortteil Horizont schon unterstreicht, unweigerlich Landschaften oder Räume entstehen. Indem Michael Marcel Fuchs mit vertikalen Linien und Streifen arbeitet, die sich durch ihre Unschärfe in Auflösung befinden, will er ganz bewusst konkrete Räume oder Orte ausblenden. Die Linien lassen eine Hintergrundebene entstehen, die jegliche Verbindung oder Beziehung zu den Objekten im Vordergrund verweigert. Es entstehen Nicht-Orte.


Der Begriff "Nicht-Orte" wurde von dem französischen Soziologen Marc Augé geprägt. Er beschreibt damit Orte, die durch ihre standardisierte Gestaltung und Funktionen keine individuelle Bedeutung oder Identität haben. Sie sind austauschbar und haben keine spezifische Geschichte oder Kultur, die mit ihnen verbunden ist.


Flughäfen, Einkaufszentren, Raststätten, Parkplätze, Badestrände oder auch Hotelketten, die oft standardisiert gestaltet sind und überall auf der Welt ähnliche Dienstleistungen anbieten, aber auch die Zeltlager der Vertriebenen und Geflüchteten sind oft transitorisch, da Menschen sie in der Regel nur für kurze Zeit nutzen und sich danach wieder entfernen. Sie sind anonym und uniform, sie ermöglichen notgedrungene, schnelle oder effiziente Durchreise oder Konsum, aber bieten keine Möglichkeit zur Identifikation oder Interaktion mit der lokalen Kultur und Geschichte. Heutige Entwicklungen, wie die Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz, verstärken diese Tendenzen und verlagern die Nicht-Orte in die Virtuelle Realität.


Michael Marcel Fuchs spürt diesen Nicht-Orten nach und thematisiert in seinen Bildern das Spannungsfeld von Raum, Geschichte, Identität und Mensch. Zwei rennende Frauen befinden sich auf der Zielgeraden. Unter Ihren Füßen befindet sich ein begrenzter Raum, der ein Ziel nicht erkennen lässt. Dieser Raum ist losgelöst vom Ort, abgeschnitten von jeglicher kultureller, historischer oder sozialer Bedeutung. Andere Figuren in seinen Gemälden wirken wie schwebende Fragmente antiker oder mittelalterlicher Skulpturen, die sich in gestischer Malerei auflösen. Oder es sind Beobachtungen von Menschen beim Ankommen, Warten oder Durchqueren von öffentlichen Räumen. Neben den figurativen Elementen bestehen seine Bilder aus abstrakten Fragmenten, Formandeutungen oder offenen Linienformationen, die stets in einen Wettstreit mit den fließenden Farbflächen im Hintergrund treten.


Und doch ist das nicht alles. Der Künstler führt uns in eigentümliche, geheimnisvolle  Welten, die eine, sich der Sprache entziehende, Wirkung entfalten und die sich in erster Linie als poetisch beschreiben lassen.

 

E.H.

 

 

Painting by michael marcel fuchs
Painting by michael marcel fuchs

Figure I/The unanchored history 2023

30 x 40 cm, Oil on Canvas